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Weizen: China nutzt fallende Preise für Hamsterkäufe

Artikel vom  03.05.2023 15:14 Uhr von Stefanie Pionke

China fährt seine Weizenimporte 2022/23 deutlich hoch und überholt Ägypten als globalen Top-Käufer. Marktanalysten halten diese Entwicklung vor allem für preisstrategisch motiviert, schreibt Stefanie Pionke in ihrem Gastbeitrag.

Die Weizenkurse an der Euronext in Paris und der Chicago Board of Trade kennen aktuell nur eine Richtung: abwärts. In dieser Marktlage sticht eine Besonderheit hervor: China hat nach Angaben des US-Agrarministeriums (USDA) Ägypten überholt und wird aller Voraussicht nach der größte Weizenimporteur im Wirtschaftsjahr 2022/23 werden. Die USDA-Analysten erwarten, dass die Volksrepublik in der laufenden Saison bis zu 12 Mio. t Weizen einführen wird, dem stehen 9,5 Mio. t im vorangegangenen Wirtschaftsjahr 2021/22 gegenüber. Ein vergleichbares Niveau haben die chinesischen Einfuhren zuletzt 1995/96 erreicht, als sie 12,5 Mio. t umfassten.

Strategisches Ziel Selbstversorgung

Für die chinesische Regierung ist eine Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, oder zumindest eine Reduzierung der Importabhängigkeit, zwar strategisches Ziel. Doch das Angebot hält mit der Nachfrage nicht Schritt: „Die Ernährungssicherheit Chinas gehört zu den grundlegenden Interessen des Landes, der Selbstversorgungsgrad ist aber – entgegen den politischen Zielen – nach wie vor gering“, beobachten die Marktanalysen der Baywa AG in München.

Dies bestätigen Zahlen des USDA: Bei Mais steht im laufenden Wirtschaftsjahr einer inländischen Produktion von 277 Mio. t ein Verbrauch von 297 Mio. t gegenüber, bei Weizen beträgt die Differenz zwischen Ernte und Bedarf derzeit rund 9 Mio. t, bei Sojabohnen trifft eine Inlandsproduktion von gerade einmal rund 20 Mio. t auf einen Bedarf von 112 Mio. t.

Inlandspreise über Weltmarktniveau

Neben der unzureichenden Selbstversorgung gibt es für den starken Anstieg der Importe auch marktwirtschaftliche Gründe. Die inländischen Weizenpreise in China bewegen sich – bedingt auch durch eine staatliche Mindestpreispolitik - seit rund einem Jahr auf dem Niveau von rund 450 US-$/t. Unterdessen sind die Weizenpreise am globalen Markt in den vergangenen Monaten deutlich unter die Marke von 400 US-$/t gefallen, stellt das USDA fest.

Da Weizen am Weltmarkt günstiger ist als in China selbst, importierte das Land also zuletzt größere Mengen an Futter- und Mahlweizen. Vor allem australischer Weizen sei nach drei Rekordernten in Folge sehr preiswürdig, beobachtet das USDA. Eine Einschätzung, die Bernd Chilla, Agrarmarktanalyst bei der Agravis Raiffeisen AG in Münster, teilt: „Die chinesischen Importeure sind reine Preiskäufer“, so Chilla. Futterweizen aus Australien sei zuletzt häufig mit Abstand am günstigsten im Vergleich zu anderen Futtergetreidearten gewesen.

Auch für die Baywa ist der verstärkte Weizenimport Chinas vor allem opportunistisch motiviert: „Der derzeit verstärkte Einkauf der Chinesen ist auch marktstrategisch getrieben – nachdem der Preis im Vergleich zu den Preisspitzen vor einem Jahr wieder deutlich gesunken ist, ist Weizen jetzt circa 180 bis 200 Dollar pro Tonne günstiger zu haben als noch 2022.“

Teureres Futtergetreide fliegt aus Mischungen

Laut Carlos Mera, Leiter Agrarmarktanalysen bei der Rabobank in London, nutzt China das derzeit vergleichsweise günstige Niveau am Weizenmarkt zudem, um anderes, teureres Futtergetreide wie Mais durch Weizen zu ersetzen: „Es gibt derzeit günstige Offerten für Weizen aus der Ukraine und Russland“, so Mera.

China hat also in der laufenden Saison die auf Jahressicht deutlich günstigeren Weizenpreise genutzt, um seine Getreideläger aufzustocken. Die regen Einfuhren aus der Volksrepublik wiederum haben sicher ihren Teil dazu beigetragen, die Preise am globalen Weizenmarkt nach unten hin abzustützen – auch wenn Getreideexporteure aus Deutschland von dieser Entwicklung nicht profitieren, da China die Einfuhr von deutschem Weizen aus phytosanitären Gründen nicht zulässt.

Importe müssen sich rechnen

Doch lässt sich aus den in diesem Jahr besonders hohen Importen der Schluss ziehen, dass China dauerhaft die Spitzenposition unter den globalen Weizenkäufern einnehmen wird? Carlos Mera hält dies für fraglich: „Die Weizenreserve, die China sich aufgebaut hat, besteht hauptsächlich aus inländischem Weizen. Ich sehe eigentlich keine Anzeichen dafür, dass China grundsätzlich verstärkt auf Importe setzen wird – außer in Zeiten, zu denen das Preisniveau günstig ist.“ Ähnlich sieht das Bernd Chilla, der keine „Rekordmengen“ an Getreideimporten erwartet, sofern sich diese nicht rechneten.

Während also der Sondereffekt China keinen dauerhaften Einfluss auf die Entwicklungen am Weizenmarkt haben dürfte, richtet sich der Blick von Agravis-Analyst Chilla bereits auf die kommende Saison 2023/24: Dabei steht nach seiner Einschätzung die Frage im Vordergrund, ob Russland seine Rekordproduktion aus der laufenden Kampagne wiederholen wird. In dem Fall könne nicht von knappen Versorgungslagen gesprochen werden.

Knappheitssignale vom Schwarzen Meer

Das russische Agrarministerium prognostiziert die kommende Getreideernte 2023 laut einem aktuellen Bericht der Nachrichtenagentur Reuters mit 123 Mio. t, darunter 78 Mio. t Weizen. Die offizielle russische Schätzung der Ernte 2022 lautet auf 153,8 Mio. t Getreide, inklusive mehr als 100 Mio. t Weizen – diesen Zahlen zufolge würde also der Vorjahresrekord also nicht eingestellt.

Allerdings sind private Analysten deutlich optimistischer: So hat Sovecon die russische Weizenernte in seiner April-Schätzung mit 86,8 Mio. t beziffert, berichtet Reuters. Das Analystenhaus IKAR aus Russland prognostiziert die Weizenproduktion 2023 der Nachrichtenagentur zufolge mit 84 Mio. t und sieht das Exportpotenzial im kommenden Wirtschaftsjahr bei 41 Mio. t. Gemessen an den Zahlen des US-Agrarministeriums, würden die russischen Weizenausfuhren 4 Mio. t unter dem Niveau des laufenden Wirtschaftsjahres liegen, sollte die IKAR-Prognose zutreffen.  

Die Baywa gibt indessen zu bedenken, dass die Ukraine in diesem Jahr weitaus weniger Weizen ausgesät haben dürfte als noch zur selben Zeit 2022, eine Situation, die der „Markt aktuell ausblendet.“ Auch das ukrainische Agrarministerium rechnet mit einer auf Vorjahressicht geringeren Weizenernte, bedingt durch den russischen Angriffskrieg. Die Weizenproduktion des Landes werde voraussichtlich 17 Mio. t erreichen, zitiert Reuters das Ministerium in einem Bericht von Dienstag. Zum Vergleich: Das USDA gibt den ukrainischen Weizendrusch 2022/23 mit 21 Mio. t an.

Getreidekorridor ist Zünglein an der Waage

Rechne man die Überhangvorräte aus der noch laufenden Kampagne hinzu, schätzt die Ukraine ihr Exportpotenzial 2023/24 bei Weizen dem Reuters-Bericht zufolge auf zwischen 11 und 12 Mio. t – das USDA beziffert die Ausfuhren im laufenden Wirtschaftsjahr 2022/23 aktuell mit 14,5 Mio. t. Auch dies also ein potenziales Knappheitssignal an den globalen Weizenmarkt.

Zumal Agrarrohstoffexporte aus der Ukraine immer unter dem Vorbehalt stehen, dass das von den Vereinten Nationen unterstützte Abkommen für Getreideausfuhren aus dem Kriegsgebiet, der Getreidekorridor, auch eingehalten wird. Russland droht immer wieder mit der Aufkündigung des Abkommens; Mitte dieses Monats stehen neue Verhandlungen an.

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