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Analyse: Wohin geht die Reise auf dem Weizenmarkt?

Artikel vom  26.01.2023 10:52 Uhr von Steffen Bach

Die Weizennotierungen an der Euronext sind in den vergangenen Monaten in einem Ausmaß gesunken, das kaum ein Experte vorhergesagt hatte. Bis zur neuen Ernte könnte es noch weiter nach unten gehen.

Wie weit können die Weizenkurse noch fallen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt zunächst ein Blick in die Vergangenheit. Der Chart zeigt den Kursverlauf der CBoT seit 2006. Im Februar 2008 stiegen die Notierungen in Chicago erstmals in der Geschichte auf über 10 USD/bushel und lösten eine weltweite Ernährungskrise aus. Bis Oktober stürzte der Weizenpreis wieder auf gut 5 USD/bu ab.

 

 

Im vergangenen Jahr explodierte der Weizenpreis erneut. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sorgte die Angst vor globalen Versorgungsengpässen dafür, dass die historischen Höchststände aus dem Jahr 2008 übertroffen wurden. Seitdem sind die Kurse allerdings wieder rückläufig. Im September stiegen die Notierungen noch einmal über 9 USD/bu an. Grund dafür war die Furcht vor einem Ende des Abkommens für den ukrainischen Getreideexport über das Schwarze Meer. Nachdem die Vereinbarung unter der Vermittlung der UNO und der Türkei verlängert worden war, begannen die Notierungen einen Sinkflug, der bis heute anhält.

Krieg in der Ukraine entscheidender Faktor

An der Euronext in Paris zeigte sich im vergangenen Jahr ein ähnlicher Kursverlauf wie in Chicago. Im Mai 2022 stieg Weizen bis auf 429 EUR/t und gab bis August wieder auf 305,75 EUR/t nach. Anfang Oktober konnte Weizen noch einmal auf 362,25 EUR/t zulegen, verlor seitdem aber rund 80 EUR. Würden sich die Märkte in den kommenden Wochen ähnlich entwickeln wie im Jahr 2008, wäre ein weiterer Rückgang bis auf 200 EUR möglich. Doch wie realistisch ist ein solches Szenario? Wichtigster Einflussfaktor für den Weizenmarkt bleibt der Krieg in der Ukraine. Trotz der unerbittlichen Kämpfe läuft der Getreideexport über das Schwarze Meer bisher weitgehend problemlos. Andererseits droht ständig eine Eskalation und jede Äußerung der beteiligten Parteien wird aufmerksam verfolgt. In dieser Woche sorgte die Debatte um Panzerlieferungen dafür, dass die Ängste vor einem Scheitern des Getreideabkommens wuchsen. Prompt zogen die Notierungen an.

Angebot auf dem Weltmarkt reichlich

Nach einer Rekordernte von rund 100 Mio. t kann Russland im Wirtschaftsjahr 2022/23 rund 45 Mio t Weizen exportieren. Bis Ende Januar werden davon rund 27 Mio t verschifft sein. Für die verbleibenden fünf Monate des Wirtschaftsjahres bleiben also nach 18 Mio t übrig. Das heißt bis zur neuen Ernte wäre Russland in der Lage, das hohe Exporttempo aufrechtzuerhalten. Eine Limitierung der russischen Exporte durch die Regierung ist unwahrscheinlich, denn trotz der großen Ausfuhren werden die Weizenbestände des Landes nach Ansicht von SovEcon auf einen Rekordwert von 16,2 Mio t ansteigen. Weitere 2,9 Mio t würden in staatlichen Interventionslägern aufbewahrt. Das USDA schätzt die russischen Endbestände mit 14,4 Mio t um fast 5 Mio t kleiner.

Rekordernte in Australien

Zusätzlich zum russischen Weizen drängt in den kommenden Monaten australische Ware auf den Weltmarkt. Eine Rekordernte von rund 40 Mio t ermöglicht Exporte von 30 Mio t, das ist fast doppelt so viel wie im Durchschnitt der vergangenen Jahre. Die Folgen der Missernte in Argentinien können damit mehr als ausgeglichen werden. Das südamerikanische Land wird wegen einer schweren Dürre nur knapp 6 Mio t exportieren können, was im mehrjährigen Vergleich eine Halbierung bedeutet.

Die EU-Exporte liegen aktuell trotz der starken Konkurrenz aus dem Osten sechs Prozent über der Vorjahreslinie. Für das gesamte Wirtschaftsjahr lauten die Prognosen 36,5 Mio t, das sind 14,4 Prozent mehr als 2021/22. Um die angepeilte Menge zu erreichen, müsste das Tempo in den verbleibenden Monaten anziehen. Der größte Exporteur Frankreich hat allerdings schon mehr als zwei Drittel der prognostizierten Weizenmengen exportiert und wird die Lieferungen verlangsamen müssen. Händler erwarten, dass sich die Verladungen nun weg vom Weizen zur Gerste verschieben könnten. Dies bietet Chancen für andere EU-Staaten wie Deutschland und Polen, in denen noch größere exporttierbare Mengen vermutet werden.

Unterschiedliche Meinungen zu Endbeständen

Bis zur neuen Ernte ist der Weltmarkt gut versorgt. Nach den aktuellen Prognosen aus dem US-Agrarministerium wird das aber auch durch einen Abbau der globalen Endbestände erkauft. Im Januar-Wasde wird gegenüber dem Wirtschaftsjahr 2021/22 ein Minus von rund 8,5 Mio. t auf 268,4 Mio t vorhergesagt. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das USDA die Ernten in Russland mit 91 Mio t und Australien mit 36,6 Mio t deutlich kleiner bewertet, als die meisten Analysten (100 Mio t und 40 Mio. t). Der International Grain Council ist optimistischer als die Washingtoner Analysten und geht davon aus, dass die Endbestände 2022/23 um 7 Mio t auf 281 Mio t wachsen.

Noch viel Zeit bis zur Ernte

Der Blick auf die neue Ernte ist noch unscharf. Das hohe Preisniveau scheint die Landwirte in vielen Ländern dazu zu animieren, den Anbau auszudehnen. Indien als zweitgrößter Weizenproduzent der Welt erwartet eine Rekordernte von 112 Mio t. In den USA wollen die Landwirte den Weizenanbau stärker als erwartet ausweiten. Teile der wichtigsten Anbaugebiete leiden allerdings unter Trockenheit und in Texas wurden auch erste Frostschäden beobachtet.  In der EU wird bei der Fläche keine große Veränderung erwartet und der Weizen steht gut auf den Feldern. Der europäische Prognosedienst MARS sieht derzeit keine großen Schäden. Erste Prognosen von Tallage und Coceral sehen eine leicht größere Erntemenge als im Vorjahr. In Russland wurde der Anbau von Winterweizen leicht reduziert. Die Bestände sind bisher gut durch den Winter gekommen. Derzeit geht man in Russland davon aus, dass die Weizenernte 2023 mit 80 bis 85 Mio t deutlich kleiner ausfällt als im vergangenen Jahr. Allerdings wäre auch das die zweit- oder drittgrößte russische Ernte aller Zeiten.

Halbierung der Ernte in der Ukraine

Der Ukrainische Getreidehandelsverband erwartet bei guten Witterungsbedingungen eine Erntemenge von 16 Mio. t Weizen, das wäre knapp die Hälfte des Ergebnisses aus dem Jahr 2022. Das Verband bezeichnet seine Prognose als Best-Case-Szenario. Ob diese Menge erreicht werden kann, hänge vom Wetter und der finanziellen Situation der Betriebe ab. In der globalen Weizenbilanz könnten so durch eine geringere Produktion am Schwarzen Meer über 30 Mio. t fehlen.

Bis der Weizen gedroschen ist, wird noch viel Zeit vergehen. Bei ungünstigen Witterungsbedingungen und sinkenden Ertragsprognosen besteht Potential für Kurse deutlich über 300 EUR. Aktuell sind die Voraussetzungen für eine gute Ernte auf der Nordhalbkugel aber gegeben. Bleibt es dabei, können die Börsen bis zur Ernte weiter nachgeben. Ein ähnlicher Einbruch wie 2008 erscheint allerdings unwahrscheinlich, denn der Bedarf der Weizenimporteure bleibt bestehen und die stetige Nachfrage sollte den Markt stützen. Auch für Deutschland bietet das Chancen, denn Russland kann nicht die ganze Welt versorgen.

Starker Euro kostet 30 EUR/t

Ein wichtiger Faktor ist der Euro-Dollar-Kurs. Seit dem Herbst haben die Weizenkurse an der Euronext um rund 80 Euro nachgegeben. Im gleichen Zeitraum gewann der Euro gegenüber dem US-Dollar mehr als zehn Cent an Wert. Allein dieser Effekt macht rund 30 Euro des Kursverlustes aus. Steigt der Euro noch stärker an, wird das den Weizenpreis in Europa weiter nach unten drücken.

Über allem schwebt die Gefahr einer Eskalation des Krieges in der Ukraine. Sollte der Export über das Schwarze Meer unterbrochen werden, würde das einen Preissprung auslösen. Andererseits könnte ein Ende des Krieges oder zumindest ein dauerhafter Waffenstillstand dazu führen, dass die Preise noch einmal deutlich nachgeben. Mittelfristig bleibt angesichts der gestiegenen Produktionskosten allerdings nicht viel Spielraum nach unten. Denn die wachsende globale Weizennachfrage kann nur bedient werden, wenn die Landwirte mit auskömmlichen Preisen rechnen können.

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