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Wie entsteht der Weizenpreis? - Bericht der Deutschen Welle vom 13.06.22

Artikel vom  14.06.2022 16:02 Uhr von Andre Schäfer

Viele Jahre pendelte der Preis für eine Tonne Weizen um die 200 Euro. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat er sich auf um die 400 verdoppelt. Besonders für Menschen in ärmeren Ländern, die einen besonders hohen Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel ausgeben, ist diese Verdoppelung ein Schock.

Nur etwa ein Viertel der weltweiten Weizenernte von zuletzt 785 Millionen Tonnen wird international gehandelt. Der weitaus größte Teil wird dort verkauft, verarbeitet und gegessen (z.B. in Form von Brot), wo er auch produziert wurde. Preise und Qualität können je nach Region stark schwanken.


Zwei große Börsen

Trotzdem spricht man bei Weizen meist von einem Weltmarktpreis, der an speziellen Börsen entsteht. "Wir haben zwei bedeutende Warenterminbörsen auf der Welt - die CBOT (Chicago Board of Trade) in Chicago und die Euronext in Paris", sagt Wolfgang Sabel, Geschäftsführer von Kaack Terminhandel in Cloppenburg, einem auf den Börsenhandel mit Agrarprodukten spezialisierten Dienstleister. "Diese Börsen sind im Prinzip das Preisbarometer unter staatlicher Aufsicht. Hier wird reguliert und mit festgelegten Standards und Grundsätzen gearbeitet. Nur Angebot und Nachfrage entscheiden über den Preis."

Standardisierung bedeutet, dass Menge und Qualität genau definiert werden. Ein Beispiel: 50 Tonnen Brotweizen aus EU-Herkunft, min. 11 Prozent Protein, max. 15 Prozent Feuchtigkeit. Erst diese Standardisierung erlaubt den weltweiten Handel.

Für Produzenten, Händler und Verarbeiter von Weizen ist dieser an den Börsen ermittelte Preis wie ein Großhandelspreis, sagt Sabel, also eine Art Richtschnur, an der sich alle orientieren. Abweichungen sind im Einzelfall möglich, je nach Lage vor Ort.


Preise finden und absichern

Neben der Preisfindung haben die Warenterminbörsen eine weitere wichtige Funktion: Sie bieten Produzenten, Verarbeitern und Händlern eine Möglichkeit, sich für ihre Kalkulationen abzusichern. Sabel nennt das Beispiel einer Supermarktkette, die bei einer Weizenmühle ein Angebot einholt für die Lieferung einer größeren Menge Mehl in 500-Gramm-Packungen im September. "Man weiß natürlich heute noch nicht, wie der Weizenpreis im September ist. Aber man kann einen Warenterminkontrakt machen", so Sabel.

Warenterminkontrakte sind Verträge, die an den großen Terminbörsen für ein Ereignis in der Zukunft geschlossen werden. In unserem Beispiel sichert sich die Mühle die benötigte Menge Weizen im September zu einem festen Preis und macht auf dieser Basis ihre Kalkulation für das Angebot an die Supermarktkette.

Im September lässt sich die Mühle den Weizen dann vom örtlichen Landhandel liefern und zahlt den dann fälligen Tagespreis. Angenommen, der liegt bei 400 Euro pro Tonne. Die Mühle hat aber einen Terminkontrakt über 300 Euro pro Tonne abgeschlossen. Sie zahlt dann 100 Euro pro Tonne mehr als geplant, erhält über ihr Börsenkonto aber 100 Euro pro Tonne gutgeschrieben. Am Ende bleibt ein Preis von 300 Euro pro Tonne, auf dem die Mühle ihre Kalkulation aufgebaut hat. Grundsätzlich ist es möglich, sich bis zu zwei Jahre in die Zukunft preislich abzusichern, sagt Sabel.


Kalkulationsgrundlage

Auch Landwirte sichern sich auf diese Weise ab gegen Preisschwankungen. "Wenn sich ein Landwirt mit Sicht auf die nächste Ernte zu einem Preis von 300 abgesichert hat und der Preis steigt auf 400 - dann verdient er beim Verkauf mehr, muss aber die Differenz über sein Börsenkonto zahlen. Fällt dagegen der Weizenpreis auf 200, wird dieser Verlust über das Börsenkonto ausgeglichen", so Sabel.

Grundlage aller Geschäfte ist also der real vorhandene Weizen. Doch die Preisabsicherung funktioniert rein über Börsenkonten, ohne dass hinter jedem Terminkontrakt auch eine echte Weizenlieferung steht. "Die Börse gleicht hier nur finanzielle Werte aus, ohne physisch in den Kreislauf einzugreifen", formuliert es Wolfgang Sabel, der als Broker solche Warentermingeschäfte für seine Kunden tätigt.

Sabel sagt, alle seine Kunden seien Erzeuger, Händler oder Verarbeiter von Weizen. Das allerdings ist keine Voraussetzung, um an Warenterminbörsen mitzumischen. Hier gibt es auch reine Spekulanten, die ihre Gewinne aus den Unterschieden zwischen erwarteter und tatsächlicher Preisentwicklung ziehen. Und die sogenannten Arbitrageure versuchen, aus regionalen Preisunterschieden, etwa an verschiedenen Börsen, Profit zu schlagen.


Keine Besserung in Sicht

Die aktuellen Preissprünge von mehr als 400 Euro pro Tonne Weizen sind der Tatsache geschuldet, dass die beiden Kriegsparteien Russland und Ukraine zusammen rund ein Drittel des Weizens produzieren, der international gehandelt, also exportiert wird: rund 60 Millionen von 200 Millionen Tonnen. "Die Welt kann auf den Weizen aus der Ukraine und Russland nicht verzichten, die Mengen sind einfach zu groß", sagt Sabel.

In dieser Lage kann alles den Preis beeinflussen und zu starken Schwankungen führen: Die täglichen Meldungen über das Kriegsgeschehen in der Ukraine ebenso wie Prognosen über die kommende Ernte in den USA.

Besonders dramatisch wird die Lage, weil viele der Abnehmerländer des Weizens Entwicklungs- und Schwellenländer sind, darunter viele in Afrika. "In diesen Ländern geben die Menschen 60 bis 80 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel aus", sagt Sabel. "Wenn Brot zu den wichtigsten Lebensmitteln gehört und plötzlich doppelt so teuer ist, weil der Weltmarktpreis von 200 auf 400 Euro pro Tonne gestiegen ist, dann hat das Auswirkungen."

Der Deutsche Bauernverband erwartet, dass der Weizenpreis auch unabhängig vom Ukraine-Krieg hoch bleiben wird. Schon durch die Corona-Pandemie waren die Preise gestiegen. "Wir haben eine Düngemittelknappheit und exorbitant hohe Düngerpreise", sagt Verbandspräsident Joachim Rukwied. Hinzu kommen Lieferkettenprobleme, für viele Maschinen mangele es an Ersatzteilen. "Wir können keinen relativ schnellen Anstieg der Produktion erwarten."

Broker Sabel sieht das ähnlich: "Zumindest bis zum Jahr 2023 wird der Weizen teuer bleiben."

 

Quelle: Deutsche Welle

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